Es war einmal ein armes Kind. Es besaß nicht mehr, als die Kleidung an seinem Leib und das trockene Brot in seiner Hand. Doch obwohl dem Mädchen vom Schicksal übel mitgespielt worden war, scheute es niemals davor, anderen eine helfende Hand zu reichen, wenn diese sie brauchten, oder den Rest seines Brotes zu teilen.
Und wie alle Kinder zu dieser Zeit – es war kurz vor Weihnachten – hatte das Mädchen einen Wunsch, den es von ganzem Herzen herbeisehnte.
Jedes Jahr hatte es die wunderschönen Dekorationen bestaunt, die immer am Freitag vor Heiligabend in der ganzen Stadt aufgehängt und aufgestellt wurden. Es gab riesige Tannenbäume, deren ausladendes Grün mit Lametta, Kerzen und großen, roten Kugeln behängt wurden, bis man Angst davor haben musste, sie fielen einem beim nächsten Spaziergang auf den Kopf. Die Straßenlaternen waren geschmückt mit Girlanden, Schleifen und weißen Schneeflocken. Man hatte das Bedürfnis, sie auf der Zunge schmelzen zu lassen. Doch ohne die imposanteste Attraktion Bad Homburgs gesehen zu haben, durfte man die Stadt nicht verlassen – sagten sich Reisende. Denn genau bei Sonnenuntergang am Tag des Festes ließen tausende und abertausende Feenlichter den weißen Turm – das Wahrzeichen Bad Homburgs – in seinem Glanz erstrahlen. Gerüchte besagten, dass die Feen einem Menschen, der ihrer würdig war, seinen tiefsten Herzenswunsch erfüllen konnten. Dies sei nur zwölf Mal in sechshundert Jahren geschehen – dementsprechend groß war die Aufregung.
Das Mädchen tauschte auf dem hinteren Teil des Marktes ein Stück seines Brotes gegen einen halben Bratapfel. Auch wenn es wusste, dass die Frau hinter dem Markttisch ihn ihm auch freiwillig gegeben hätte, beruhigte es sein Gewissen, nicht nur genommen, sondern auch etwas gegeben zu haben.
Es ging auf den Abend zu, und so machte sich das Kind auf den Weg Richtung Weißen Turm, die süße Speise in der einen Hand, mit der anderen durch die Nadeln der Bäume fahrend.
Gerade rechtzeitig ergatterte das Mädchen einen Platz am Rande der Menge, wodurch es einen guten Blick auf die noch nicht erleuchteten Feen und den Bürgermeister hatte, dem die Ehre zuteilwurde, das Ereignis anzukündigen.
Nach ein paar Worten des Dankes an Institutionen und hochrangige Bürger drehte der kleine Mann sich in die Richtung, in der gerade die Sonne hinter dem Horizont verschwunden war. Er hob beide Arme über den Kopf und rief mit lauter Stimme:,,So lasset die Feenlichter erleuchten!“
Sogleich breitete sich ein warmes Glühen unter den Feen aus. Es schien die Fassade des Turms emporzuklettern, bis es oben angelangt war. Dann, plötzlich, erstrahlten die Feen in so gleißender Helligkeit, dass der Platz in ein beinahe magisches Licht getaucht wurde. Es sammelte sich, richtete sich aus, formierte sich zu einem Strahl. Dieser wanderte durch die Menschenreihen, jeder versuchte, den Strahl auf sich zu lenken. Doch er wanderte unbeirrt, bis er das gefunden hatte, was er suchte.
Das Kind wurde von dem Licht regelrecht geblendet. Es schirmte seine Augen mit beiden Händen ab. Getuschel wurde laut. Die Menschen empörten sich über die Wahl der Feen.
Doch das Kind bekam von alledem nichts mit. Es nahm die Hände vom Gesicht und ließ zu, dass das Licht es von Kopf bis Fuß beleuchtete.
Dann drehte es sich um und ging mit würdevollen Schritten einem hochgewachsenen Mann entgegen. Er hatte auf dieses Wiedersehen gewartet. Lange.
Er breitete die Arme aus. ,,Willkommen zuhause, Christkind.“