Über den Vortrag
Mit der Erstürmung des US-Kapitols in Washington, D.C. am 6. Januar 2021 stellten Trump-Anhänger ihre Bereitschaft zur Schau, gewaltvoll mit der liberalen Demokratie zu brechen. Sie beriefen sich dabei nicht nur darauf, die Rechte des vermeintlich wahren Volkes zu verteidigen; viele von ihnen gaben vor, Gottes Werk zu tun. Sie durchfluteten ihr Medienspektakel mit Symbolen, die aus christlichen, heidnischen und demokratischen Traditionen stammten. Auf die Bildschirme der Welt sendeten sie hölzerne Kreuze, Schamanen-Kostüme und 1776-Logos. Dieser Zeichenmix ließ sich nicht widerspruchsfrei dechiffrieren, doch zumindest warf er die Frage auf: Welche Rolle spielt der konservative Evangelikalismus im antidemokratischen Trumpismus? Dieser Frage hat sich in der Zwischenzeit auch die religionssoziologische und -historische Forschung zugewandt. Der weit geteilte Befund: Rechter Evangelikalismus und rechte Politik sind heute kaum mehr voneinander zu unterscheiden. Religion steht im Dienst der Politik, Politik im Dienst der Religion. Vereint sind sie im Bestreben, eine vermeintlich vergangene Ordnung christlicher und weißer Vorherrschaft wiederherzustellen. Diese Diagnose allerdings wirft ein Rätsel auf: wie konnte der amerikanische evangelikale Protestantismus zum Motor einer antidemokratischen Bewegung werden, wo er doch einst – im späten 18. und 19. Jahrhundert – Antrieb einer kulturellen Dynamik der Demokratisierung war? Zu jener Zeit überwarf der Evangelikalismus alte Autoritäten und Institutionen und etablierte Formen religiöser Erfahrung, in der sich die egalitäre Freisetzung des Individuums manifestierte. Zurecht ist dieser »religiöse Populismus« – anti-elitär, anti-institutionell und egalitär – als wesentliche Triebkraft der Demokratisierung des amerikanischen Alltagslebens im Zeitalter der Frühen Republik beschrieben worden. Und doch, so soll der Vortrag zeigen, sind in den frühen Formen des Evangelikalismus bereits Sollbruchstellen erkennbar, die das demokratische Moment des religiösen Populismus ins Autoritäre umschlagen ließen. Umgekehrt lässt sich allerdings auch zeigen, dass der gegenwärtige autoritäre, antidemokratische Evangelikalismus des Trumpistischen Zeitalters nach wie vor demokratisierende Züge trägt. Es handelt sich hierbei allerdings um Formen der Demokratisierung, die sich paradoxerweise antidemokratisch manifestieren. An die Idee einer »Demokratie als Lebensform« richtet der Evangelikalismus somit eine grundlegende Frage: sind Demokratisierung und Autoritarismus als Gegenpole zu verstehen oder vielmehr als ambivalent schillernde Dynamiken, die eine eindeutige Zuordnung verweigern?
Der Redner
Johannes Völz ist Professor für Amerikanistik mit Schwerpunkt »Demokratie und Ästhetik« an der Goethe-Universität Frankfurt. Mit Gunther Hellmann leitet er den Forschungsschwerpunkt »Democratic Vistas: Reflections on the Atlantic World« des Forschungskollegs Humanwissenschaften, dessen wissenschaftlichem Direktorium er seit 2019 angehört. Letzte Buchveröffentlichung: Johannes Voelz, Poetics of Insecurity: American Fiction and the Uses of Threat, Cambridge University Press 2018. Gegenwärtig arbeitet er an einer Studie zur Ästhetik des Populismus.
Teilnahme und Anmeldung
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Anmeldeschluss: Mittwoch, 29. November 2023